Psychokeramisches Syndrom

Dauerstrohwitwer Martin Leibssle im neuen Vereinsheim der „Haugga Narra“

„Wenn das ein normaler Samstagabend wäre, wär ich heut im Schwanen“, macht Leibssle gleich zu Beginn klar. Die Essinger „Haugga Narra“ dürfen sich also geehrt fühlen. Mit „Leibssle würfelt – Gott würfelt nicht“ eröffnet Eckhard Grauer nicht minder närrisch die neue Heimat der Karnevalisten.

Joachim Fritz am Klavier, Alex Hess am Bass und Eckhard Grauer alias „Leibssle“ liefertem dem Publikum keinen normalen Samstagabend.

Joachim Fritz am Klavier, Alex Hess am Bass und Eckhard Grauer alias „Leibssle“ liefertem dem Publikum keinen normalen Samstagabend.

Kennen Sie das psychokeramische Syndrom? Nein? Doch, sicher: Leibssle meint damit nichts anderes als den berühmten Sprung in der Schüssel. Ob er den nun selbst hat oder doch eher einer seiner vielen Stammtischbrüder oder Verwandten, bleibt dahingestellt. Sicher ist: Leibssle ist Kult. Und als Kabarettist mit solchem Status weiß er damit umzugehen.
Spontan und schlagfertig zeigt er sich in Essingen, schießt sich aufs Publikum ein, singt und frotzelt in gewohnt gekonnter Manier. Dabei nimmt er durchaus auch gesellschaftskritische Züge an. Ob beim Häkeln für den Frieden vor dem Berliner Reichstag („Damit die Politiker die letzten heißen Eisen noch anfassen können“) oder der rein objektiven Betrachtung der „Sportart“ Nordic Walking – für Leibssle nicht viel mehr als „Betreutes Gehen“. Zum Glück mit zwei Stöcken statt nur mit einem, „sonst würde man dauernd im Kreis laufen“.
Leibssle ist dabei kein engstirniger Lokalpatriot – auch wenn natürlich eine gehörige Portion deftig Schwäbisches mitschwingt. Leibssle versteht es immer zum rechten Zeitpunkt einen dezenten Blick über den Maultaschensuppentellerrand zu werfen, sich auf die große weite Welt einzulassen. Meist tut er dies singend (gemeinsam mit Joachim Fritz am Piano und Alex Hess am Bass). Wenn ihn seine Frau Liesbeth mal wieder zum Einkaufen schickt beispielsweise. Dann wird schon mal der Blues ausgepackt, denn was ein wahrer Leibssle ist, der schreibt sich seine Einkäufe nicht auf, nein, der singt sie sich vor: „An Lidder Milch, an Käs dazu, a Pfond Budder…“ und so weiter.
Auch die Literatur hat es ihm angetan – gerne im Original. Da Leibssle aber kein Englisch kann, bleibt ihm bei Shakespeare nichts anderes übrig als zwischen den Zeilen zu lesen. Klassiker wie „Lassiter“ sind da schon eher seine Kragenweite. „Sie kennen Lassiter nicht?“, fragt er ins Publikum. Fingerfertig zückt er ein kleines Western-Heftchen, präsentiert stolz sein Lieblingswerk. Bis ins Detail beschreibt er anschließend die Geschichte des Cowboys, der mit der letzten Kugel aus seinem Colt gleich vier Halsschlagadern gleichzeitig traf.
Gewieft zieht Leibssle Parallelen zur heutigen Zeit. Als Würfelbetrüger versucht er sich beim „Mensch ärgere dich nicht“, singt das Lied vom Würfelspieler. An die Frauenwelt gerichtet, gibt’s noch ein kleines Männergeheimnis mit auf den Weg: „Männer tun nur so, als gebe es das Kind im Manne, damit die Frauen ihren Mutterinstinkt ausleben können“.
Grandios auch Leibssles Abhandlung auf die Servicequalität heutiger Haarsalons. Minutenlang zeichnet er hier die Charakterzüge seines Stammfrisörs nach, umschreibt lustvoll dessen Wandel im Verlauf der Jahrzehnte, hin zum Servicedienstleister. Leibssles süffisantes Fazit sorgt für große Lacher: „Der schneidet kein Haar anders als vor zwanzig Jahren – aber mit Beratung“.

  • Veröffentlichung:
    23.06.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski
Werbung

Notenstapel im Blockflötenfeuer

„Brisk“ bläst zum 15. Geburtstag der Musikschule Habrom in Essingen alle Vorurteile weg

Amsterdam verbindet man nicht unbedingt mit Blockflöten. Dabei hat sich die niederländische Metropole spätestens seit Gründung des berühmt-berüchtigten „Amsterdam Loeki Stardust Quartets“ als besonders flöten-affin entpuppt. Kein Wunder also, dass auch Brisk ihre Ursprünge in der Stadt an der Amstel haben. Akribisch und übermütig blasen sie in der Essinger Quirinuskirche alle Klischees und Vorurteile über die angeblich langweilige Blockflöte fort.

Hat der Zuhörer erst einmal seine Vorurteile gegenüber Blockflöten abgelegt, eröffnet sich ihm eine klangliche Vielfalt, in die er sich getrost fallen lassen kann. Wenn etwas den Begriff „hochvirtuos“ verdient, dann Brisk. Barockmusik an Blockflöten – lebendig und lustig. Punktgenau, präzise mit einer nicht zu verbergenden Tendenz ins Perfektionistische. BRISK sind Marjan Banis, Saskia Coolen, Bert Honig und Alide Verheij. Mit ihrem Programm „Flamen in Venedig“ ehren die vier Musiker des „BRISK Recorder Quartets Amsterdam“ die wahre Kunst der Verzierung.
Vokale Klassiker von Adrian Willaert, Clément Janequin, Cipriano de Rore und anderen flämischen Komponisten wurden im Venedig des 16. Jahrhunderts gern als Basismaterial für neue Kompositionen verwendet und geradezu virtuos verziert. „Ars Diminuendi“ nennt sich diese Kunst. Brisk geht sogar noch einen Schritt weiter und spielt seine eigenen, verzierten Versionen nach historischen Vorbildern. Werke der Venezianer Andrea Gabrieli oder Francesco Bendusi erklingen hier neben Kompositionen ihrer flämischen Kollegen. Eine Mischung, die den Namen des Quartetts stilistisch widerspiegelt. „Brisk“ ist nämlich eigentlich eine Tempo- und Charakteranweisung aus der englischen Consort-Musik, zeugt von Lebendigkeit, von Wachsamkeit. Dazu gehört die Konfrontation von alter und neuer Musik, wie sie das Ensemble auch in Essingen zum Besten gibt. Auf einer Vielzahl von Blockflöten spielen die Niederländer neben Kompositionen aus der Renaissance und dem Barock auch ganz neue Stücke. Mal einstimmig, mal mehrstimmig – mal als Solo, dann wieder alle zusammen – im besten Fall mit bis zu acht Flöten gleichzeitig (wie beim finalen „Teamwork“ von Saskia Coolen). Zu ihrem eigenen Jubiläum ließen sie sich kürzlich von befreundeten Musikern neue Flötenstücke mit einer maximalen Länge von zwei Minuten schreiben. Ein paar davon bekommt man auch in Essingen zu hören. Willem Wander van Nieuwerks „Catch (an angel)“ zum Beispiel, ein Stück gespickt mit unzähligen Trillern, das Brisk auf Grund seiner hohen Geschwindigkeit enorme Fingerfertigkeit abverlangt. Bert Honig nimmt es mit Humor: „So viele Noten und soviel zu wenig Zeit“.

  • Veröffentlichung:
    16.06.2009
  • Medium:
    Kulturseite, “Schwäbische Post” + “Gmünder Tagespost”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Wird das der neue Sommer-Hit?

„Rocking Son“ präsentierten ihre Sommer-Single „Yippieh Hooray“ in Aalen

Als „Weltpremiere“ war die Veranstaltung angekündigt. Beachtlich war der Ansturm an der Stadtkirche: Mehrere Hundert Neugierige sammelten sich vor der „Brezga Blase“, um den Auftritt von „Rocking Son“ zu sehen. Eines ist dabei sicher: Ihr neuer Titel „Yippieh Hooray“ ist ein Ohrwurm.

„Yippieh Hooray“ – das geht ins Blut. In der Brezga-Blase jedenfalls weckte die eingängige Melodie das Sommerfeeling bei den Besuchern.

„Yippieh Hooray“ – das geht ins Blut. In der Brezga-Blase jedenfalls weckte die eingängige Melodie das Sommerfeeling bei den Besuchern.

Was bringt eine europaweit aktive Band dazu, ihre neue Sommer-Single in Aalen vorzustellen? Ganz einfach: Sie hat ihre Wurzeln auf der Ostalb. Mit Ebru Kaya und Stefan Track gehören gleich zwei Aalener zu der Formation. Außerdem Teil der Band: Natalie Horoba. Bekannt wurden „Rocking Son“ durch ihre Version des Dschingis-Khan-Klassikers „Moskau“. Manager René Marichal-Navarro (der auch den Text zur neuen Sommer-Single verfasste): „Vor zwei Jahren fing hier in Aalen alles an“. „Die Luft vibriert, der Puls steigt“, kündigt eine tiefe Stimme aus dem Off den Auftritt der drei Sänger und Tänzer an. Mit „Yippieh Hooray“ hoffen die Musiker den diesjährigen Sommer-Hit zu landen. Sogar eine einfache, nachtanzbare Choreografie haben sie dafür ausgearbeitet – „Macarena“ und „The Ketchup Song“ lassen grüßen. Nach erfolgreicher Zusammenarbeit mit Grand-Prix-Veteran Ralph Siegel durften dieses Mal zwei schwedische Produzenten ran. Die ebenfalls grand-prix-erfahrenen Claes Andreasson und Johan Sahlen liefern den Sound, der ins Blut geht.
„Yippieh Hooray“ ist ein klassischer Ohrwurm, der zum Mitsingen und Mittanzen animiert. Ein nicht zu anspruchsvoller Text, eine eingängige Melodie, einfache Bewegungen – ein Rezept, das aufgehen könnte. Auch Kulturbürgermeister Wolf-Dietrich Fehrenbacher beobachtet die Weltpremiere in der „Brezga Blase“. Als nächstes soll ein Video gedreht werden – auch wieder in Aalen, wie Manager Marichal-Navarro informiert. „Wir werden dazu noch einen Casting-Aufruf starten.“ Die Single selbst werde nun europaweit an Club-DJs verteilt. Und im September stehe eine weitere CD-Vorstellung an. Marichal-Navarro: „Es wird noch einmal was anderes sein, aber auf jeden Fall auch Spaß machen“.

  • Veröffentlichung:
    16.06.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Mantel gewinnt sein Heimspiel

Ganz allein daheim: Ernst Mantel wandelt in der Abtsgmünder Zehntscheuer gekonnt auf Solopfaden

Wer kennt dieses Gefühl nicht? Die Woche ist vorüber, die Arbeit war mal wieder stressig und auf großes Weggehen hat man keine Lust mehr. Lieber ein gemütlicher Fußball-Fernsehabend auf dem heimischen Sofa. Gerne mit ein paar Freunden. Das muss sich auch Ernst Mantel gedacht haben. Gut, er hat einen etwas größeren Freundeskreis. Und sein Sofa ist die Bühne in der Abtsgmünder Zehntscheuer. „Ernst Unernst“ –Spielbericht zu einem Heimspiel.

Ernst Mantel zeigt an, wo’s lang geht.

Ernst Mantel zeigt an, wo’s lang geht.

Anpfiff. Mit nur wenigen Minuten Verspätung beginnt das Spiel. Ernst Mantel, von Mitspielern gerne auch „schwäbischer Philosoph“ oder „Gewinner des baden-württembergischen Kleinkunstpreises 2009“ genannt, bläst zum ersten Angriff. „Dr Anfang“ heißt diese Spielvariante, in der auch Schluss und Qualität nicht zu kurz kommen. „Der Schluss ist das Ende von so vielem auf der Welt“, sinniert der Abtsgmünder Ernst Mantel. Dabei gehe es häufig doch nur darum, Eindruck zu schinden, „notfalls auch mit Tricks“, erklärt er und stimmt – mittels perfekter Technik – alleine einen mehrstimmigen Fangesang an.
Die Fans strömten heute in Massen in die Abtsgmünder Kleinkunstarena. Alle wollen ihr Idol sehen. Auch Ehrengäste, wie Ministerpräsident Oettinger (Mantel wunderbar nasal: „Qualität ist für mich nicht nur ein Schlagwort, sondern auch ein Stichwort und ein Fremdwort“). Star des Abends bleibt aber der vielseitig einsetzbare Spielmacher Mantel selbst. Mal über links, mal über rechts, meist ab durch die Mitte. Auch kurz vor der Halbzeit geht ihm noch nicht die Puste aus. Seine Finesse erklärt er sich selbst mit Weisheiten, wie sie nicht viele Spieler „bei aller Nüchternheit“ nach dem fünften Weizenbier noch wohl akzentuiert in die Kamera gesprochen hätten: „Vom Bauch her bin ich eben eher ein Kopfmensch“. Und da Fußballer gerne wild leben und schnelle Wagen fahren, leben sie auch gefährlich im „Rausch der Geschwindigkeit“, vor allem „nachts auf der Autobahn“. Geblitzt, gestoppt, „Babbadeggl weg“. Den braucht der geübte Spieler auf dem Platz zum Glück nicht. Und auch Anglizismen sind hier überflüssig. Deshalb will der Manager auch, dass seine Kids Cedric und Kimberly besser „gecoacht“ und Deutsch wieder mehr „supported“ wird. „Never win a changing dream“ – oder so ähnlich.
Die zweite Halbzeit beginnt, das Spiel bleibt erstklassig. Dafür sorgen schon die Liedermacher auf den Rängen. Die Singer-Songwriter, so wie Reinhard Mey. „Höret nun ein Stück aus dem Zyklus ‘Lieder direkt vom Erzeuger’“, trällert Mantel munter vom Rasen. Das gefällt auch dem Migranten-Fanblock. Nur der Ulmer Bülent hat den Wiederanpfiff verpasst. „Wo bleibt der bloß?“.
Zum Glück steht es nach 90 Minuten noch unentschieden. So bleibt noch genügend Zeit, denn das Spiel geht unter den Anfeuerungsrufen der heimischen Fans in die Verlängerung. Zwei mal 15 Minuten. Dann ist Schluss. Mantel hat gewonnen, dreht eine Ehrenrunde in der Fankurve. „Und die Moral von der Geschicht’? Das Ergebnis liegt mal wieder im Resultat“. Heimspiele unterliegen eben eigenen Gesetzen. Und Ernst spielt unernst in der Champions League.

  • Veröffentlichung:
    12.06.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Käse an Schokoladensauce

Sibylle Friz und Birgit Förstner würzen den „Fachsenfelder Frühling“

„Je mehr Käse, desto mehr Löcher“, führt Sibylle Friz in die Käsekultur ein. „Je mehr Löcher, desto weniger Käse. Daraus ergibt sich: je mehr Käse, desto weniger Käse“. Ein Paradoxon, das Friz und ihre Kollegin Birgit Förstner nur zu gerne auf die hohe Kunst der Musik – vom frühen Barock bis ins Jahr 2000 – ableiten. „Alles Fromage!“ heißt es in ihrem komödiantischen Gastspiel auf Schloss Fachsenfeld. Musik und Poesie entlang des Käsezeitstrahls.

Sie sind Schauspieler und Musiker, haben einen Hang zum Komödiantischen. Wenn Sibylle Friz und Birgit Förstner Käse erzählen, muss man schon genau hinhören, um wirklichen Käse von ernster Kunst zu unterscheiden. Mitten im venezianischen Frühbarock startet ihre Reise, ihre Erzählung. In einem Palazzo wie dem Schloss Fachsenfeld. Oder war’s ein Castello? Mit Dario Castello, seines Zeichens italienischer Komponist und Generalmusikdirektor von San Marco, nimmt zumindest die Musik des damaligen Venedigs in Fachsenfeld Einzug. Ein Cello-Duett – inklusive intensiver barocker Haltung gespielt. Auch die italienische Oper darf natürlich nicht fehlen. Süffisant kredenzen Friz und Förstner Auszüge aus Benedetto Marcellos Satire über das neumodische Theater („Il teatro alla moda“), eine kritische Darstellung über Berufe am Theater. Dazu gehören auch die Primadonnen. Wie die beiden. Und was tun Primadonnen? Sie singen: „Huuuuurz“. Hape Kerkeling und italienische Oper? Da ist er wieder, der Käse. Eigentlich sind sich Primadonnen auch zu schade, stupid Blockflöten zu blasen. Soll Förstner trotzdem? Na gut. Ausnahmsweise. „Blockflötenkäse“, entfährt es ihr. Ein wild trällerndes Blockflötenduett folgt, Vogelgezwitscher ähnlich.
Dass Italiener nicht nur gute Musik machen, sondern auch für andere Qualitäten bekannt sind, soll nicht unerwähnt bleiben. „Ja, die Italiener verstehen was vom Küssen“, träumt Friz vor sich hin. Ein bisschen Paul Fleming zur Untermalung darf’s da schon mal sein: „Küsse nun ein jedermann, wie er weiß, will, soll und kann“. Auf ein Largo aus Antonio Vivaldis Cellosonate in a-Moll folgen weiter muntere Käsegeschichten. Von den Römern, den Neapolitanern. Auch Giacomo Casanovas „unvergleichliche Sinnlichkeit“ bekommt eine Bühne. „Hätten Sie gewusst, dass Casanova ein Käse-Lexikon schreiben wollte?“. Die Betonung liegt auf „wollte“, denn gemacht hat er es letztlich nie. Auf Italien folgt Frankreich. Auf Käse auch ein bisschen Schokolade. „Mit Schirm, Scharm und Schokolade“, nennen das die Künstlerinnen. Dazu passt Rachel Portmans Titelmelodie aus „Chocolat“ vortrefflich. Der Käse bleibt jedoch im Gedächtnis („Vive le fromage!“) und die Geschichten humorig. Sei es nun die Legende um die Entstehung des Roqueforts oder „Sous le ciel de Paris“. „Unter dem Himmel von Paris, da schmelzen die Herzen wie… Schmelzkäse!“.
Dahinschmelzen konnten die Besucher auch beim schauspielerischen und musikalischen Finale von Friz und Förstner: Flügel (mal zwei-, mal vierhändig), Celli, sogar ein Ton-Kuckuck, der beim Hineinblasen eben jenes von sich gibt. Kein Wunder. Auch kein Käse. Sondern Camille Saint- Saëns „Le carnaval des animaux“, der berühmte „Karneval der Tiere“.

  • Veröffentlichung:
    20.05.2009
  • Medium:
    Kulturseite, “Schwäbische Post” + “Gmünder Tagespost”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Kochende Arena, ins Regenwasser gefallen

Entertainer in der Sumpflandschaft: Robbie-Williams-Coverband trotzt dem Regen am Wasseralfinger Erzstollen

Der Partyabend des FC-Bayern-Fanclubs fiel buchstäblich ins Wasser. Gefeiert wurde trotzdem. Und wie! Die Robbie-Williams-Coverband (RWC) verwandelte den matschigen Hartplatz am Wasseralfinger Erzstollen in eine kochende Konzertarena. Im schützenden Festzelt präsentierte sie ihre Robbie Williams Tribute Show.

„Sin, sin, sin“, hallt es durchs Festzelt. Im Sakko, mit dunkler Sonnenbrille auf der Nase und einem blauen Schal um den Hals verkörpert Thomas Bopp Englands größten Entertainer, Robbie Williams. Draußen prasselt der Regen laut auf das Zeltdach, jagt kleine Sturzbäche durch das Zelt, hat eine regelrechte Sumpflandschaft vor der Bühne gebildet.
Die Gäste stehen entsprechend mit etwa zehn Meter Abstand vor der RWC, beobachten die Band, singen mit. Die Musiker haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Immer wieder entfleuchen ihnen zwar ein paar böse Worte über das Wetter – von ihrem eigentlichen Ziel, nämlich mit der Musik ihres großen Vorbilds Stimmung zu machen, weichen sie dennoch nicht ab. Im Gegenteil.
Fast schon trotzig wirkt ihr Auftritt. Bopp spielt mit dem Publikum, posiert, zeigt seine Oberarme. In voller Montur sieht er Robbie Williams sehr ähnlich, könnte sein jüngerer Bruder sein. Auch stimmlich kommt er weit an den britischen Popstar heran. Kein Wunder, schließlich hat er sein Handwerk gelernt. Als Gewinner der RTL2-Sendung „Fame Academy“ war er Mitglied der Band „Become One“, ist mit Größen wie Lionel Richie, Phil Collins oder Ricky Martin aufgetreten. Den Robbie zu geben scheint für ihn eine Leichtigkeit zu sein. Voller Elan reiht er einen Williams-Hit an den nächsten: „Supreme“, „Rock DJ“, „Angels“. Gemeinsam mit Background-Sängerin Lisah als Kylie Minogue singt er das Duett „Kids“.
Für den Take-That-Titel „Back For Good“ darf Saxofonist Mirco den Mark Owen mimen. Überhaupt zeigt sich die RWC als hervorragend eingespieltes Ensemble. Besonders Saxofonist Mirco begeistert durch Solo-Einlagen. Immer wieder animiert die Band das Publikum erfolgreich zum Mitsingen. Als der Regen langsam nachlässt, entern erste Besucher die Sumpflandschaft vor der Bühne, hüpfen unter schmatzenden Geräuschen umher, tanzen, feiern. Bopp setzt sich ganz vor an den Bühnenrand, lehnt sich auf seinen rechten Unterarm. Das Licht wird abgedunkelt, ein Spot auf ihn gerichtet. Sanft und leise mit einem traurigen Unterton singt er nun Robbie Williams’ Hommage an den King, Elvis Presley: „Advertising Space“.

  • Veröffentlichung:
    19.05.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Ein Tag für Göttinnen und Kaiser

Beim 2. Limesaktionstag ging es um die römische Lebensart, aber auch um die römische Reit- und Kampfkunst

Eine Göttin ist unterwegs. Es ist Eponia, die Göttin der Pferde. Um diese edlen Vierbeiner drehte sich beim 2. Limesaktionstag „Limes Grenzenlos“ im Aalener Limesmuseum so einiges. Aber auch andernorts besetzen die Römer den sonnigen Tag, um die antike Grenzanlage in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. In Hüttlingen wurde gar der römische Kaiser Caracalla Opfer germanischer Eindringlinge.

Der Germane (Uli Jankowski) wehrt sich gegen die Befreiung Caracallas (Günter Ensle l.), hat gegen die römischen Reiter aber keine Chance.

Der Germane (Uli Jankowski) wehrt sich gegen die Befreiung Caracallas (Günter Ensle l.), hat gegen die römischen Reiter aber keine Chance.

Still ist es auf der großen Wiese vor dem Limesmuseum. Nur das Schnauben der drei Pferde und die Erklärungen von Katja Baumgärtner sind zu hören. Es geht um die römische Reitkunst im Gegensatz zur Reitkunst heute. Um die Unterschiede zu zeigen, führen Jan Rehder nach römischer Art, Anja Knödel ihr Camarque-Pferd mit Westernsattel und Silke Förster ihr Dressurpferd vor: „Die Römer trugen noch keine Steigbügel“, erklärt Katja Baumgärtner und auch Familie Reiss aus Würzburg ist ganz Ohr: „Maximilian ist Römerfan und Hannah Pferdefan, also ist das was für die ganze Familie“, erklärt Martina Reiss.
Rund 500 Besucher nutzen an diesem Nachmittag die Angebote für die ganze Familie im und rund um das Museum. Bei der Museumspädagogik können die Kinder neben anderen Bastelarbeiten die römische Pferdegöttin Epona gießen, bemalen und mit nach Hause nehmen, die Väter auf dem Tonnenpferd vor der Reiterbaracke testen, ob sie es auch so elegant wie ein Römer aufs Pferd geschafft hätten. Falls nicht oder nur unter Blessuren – kein Problem – auch ein römischer Arzt ist vor Ort. Wie die Römer kämpften und lebten zeigen aber auch Handwerker wie der Schmied Stefan Scholderer oder der Bogenschütze Günter Nowak.
Mit gar einer Weltpremiere wartete das Museum im Auditorium auf: Rund 20 Zuhörer lauschten der Vorveröffentlichung des SWR2-Features „Geschichte einer Grenze – Welterbe Limes“ von Reinold Hermanns und hatten im Anschluss auch die Gelegenheit, darüber mit dem wissenschaftlichen Leiter des Limesmuseum Dr. Martin Kemkes zu sprechen. Und für diejenigen, die sie noch nicht gehört hatten, gab es eine weitere Weltpremiere. Justus Willberg aus Weißenburg hatte die römische Wasserorgel mitgebracht und trug seine Zuhörer mit dem fremdartigen Klängen sacht in den Abend hinüber.

Hüttlinger Kaiser-Entführung
„In vier Minuten geht es offiziell los“, verkündet der als römischer Erzähler agierende Josef Kowatsch durch ein Megafon bereits am Morgen am Seitsberger Wasserturm. Dieses sei zwar nicht römisch, aber die Welt sei eben lauter geworden.
Leidenschaftlich führt Kowatsch die herbeiströmenden Besucher ins Geschehen ein. „Wir schreiben das Jahr 213 nach Christus“, beginnt er und beschreibt den Bau des Limes-Grenzwalls, erläutert die Geschichte der Raetier. Dann startet die gespielte Szene. „Bürger Roms, schaut auf diesen Wall, seht auf dieses Land!“, läutet Kowatsch die Ankunft von Kaiser Caracalla (Hüttlingens Bürgermeister Günter Ensle) ein. „Er kommt zu einer Inspektion den Limes entlang“, verdeutlicht der Erzähler die Szenerie, fordert die Zuschauer auf den Kaiser gebührend zu begrüßen. Ein etwas widerwilliges „Salve Caracalla“ hallt dem Imperator entgegen. Plötzlich wird es laut. Aus dem Unterholz kommt mit Gebrüll ein in Fell gewickelter Germane (Uli Jankowski, Leiter der Lokalen Agenda) mit einem Holzprügel hervor, stürzt sich auf den Kaiser, nimmt ihn gefangen. Der für diesen Abschnitt zuständige Wachmann Claudius Arminius (Klaus Hermann) schlägt Alarm. Der Signalbläser (Rudi Wolfsteiner) übermittelt die Angriffsbotschaft weiter gen Dalkingen zur Sechta-Brücke. Was nun folgt, ist eine Darbietung römischer Kommunikationskunst. Über 22 Wachtürme wird das Signal weitergetragen, legt binnen weniger Minuten ganze 20 Kilometer zurück. Unterstützend jagen die Wachmänner Böllerschüsse in die Luft. „Die gab es damals natürlich nicht“, fährt Kowatsch schmunzelnd fort. Nur kurze Zeit später erreicht die Antwort aus Dalkingen das Feld bei Seitsberg. „Jetzt wissen die Wachleute in ihrem Turm, dass Hilfe unterwegs ist“, erklärt Kowatsch. Um Angreifern nicht hilflos ausgeliefert zu sein, hätten sich die Wachleute früher in ihren Turm zurückgezogen. „So konnten sie abwarten, bis die Reiterstaffel aus dem Römer-Kastell in Buch zu Hilfe kam“, beschreibt Kowatsch die Maßnahmen. Fast fünfzig Minuten haben die Besucher nun Zeit, machen es sich bei der Römer-Hocketse unter dem Wasserturm gemütlich. Das Horn des Signalbläsers schreckt sie auf. Der Kohortentrupp aus Buch (gespielt von der Reitergruppe Josef Saum aus Ebnat) taucht am Horizont auf, nähert sich in wildem Galopp dem Turm. Wild stampfende Pferde, in der Sonne funkelnde Schwerter und Helme, ein kurzer Kampf. Dann ist es vollbracht: Der Germane wurde besiegt, der Kaiser ist frei, der Limes kraftvoll ins Bewusstsein gerückt.

  • Veröffentlichung:
    11.05.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Dagmar Oltersdorf  und Heiko Buczinski

Sentimentaler Streifzug

„Mix Dur mit Swing“ – Kleinkunstabend Musikschule Neresheim

Der Name hält, was er verspricht – „Mix Dur“ liefert eine bunte Mixtur aus Musikstilen, Sprachen, Gesang und Instrumenten. Was der Förderverein der Musikschule Neresheim in der Härtsfeldhalle präsentiert, ist extravagant. Was in seiner Form seltsam anmuten mag, ist ein sentimentaler Streifzug durch die Welt der Musik.

Der Neresheimer Musikschulleiter Normand DesChênes dirigiert die Big Band, die mit Jazz Swing und ein bisschen Mambo unterhielt.

Der Neresheimer Musikschulleiter Normand DesChênes dirigiert die Big Band, die mit Jazz Swing und ein bisschen Mambo unterhielt.

Xaver Weber begrüßt die Gäste im Namen des Fördervereins der Musikschule, übergibt das Moderationszepter dann an Andreas Neuhauser, der munter und witzig durchs Programm führt. Zwei Dinge prägen diesen Abend: ein musikalisches Programm, das an Abwechslung kaum zu überbieten ist, und das Wetter, das sich wie eine dramaturgische Schleife lustvoll um den Liederreigen in der Härtsfeldhalle windet.
Musikschulleiter Normand DesChênes dirigiert seine Big Band, greift immer wieder selbst zum Instrument. Virtuos bläst er das Solo zu „Mission Impossible“ auf dem Saxofon, wird vom Publikum angefeuert. Jazz, Swing, Mambo – die Big Band spielt sich in Fahrt.
Kaum hat sich das Publikum jedoch auf einen feinen Blue-Note-Abend eingestellt, kommt der erste Bruch. Arien-Sängerin Stefanie Schwarz und Pianist Hermann Durner betreten die Bühne. Stille im Saal. Durner beginnt, streichelt die Tasten seines Pianos, wartet auf den Einsatz von Schwarz. Diese schmettert gekonnt zwei Titel aus Fernando Obradors „Canciones classicas espanoles“. Ihre Stimme vibriert, wird lauter, erfüllt letztlich auch den letzten Winkel des Saals. Opernstimmung auf dem Turnhallenboden.
Auf Klassik folgt Schlager. Der Regisseur des Schwäbisch Gmünder Kolping-Musiktheaters, Michael Schaumann, intoniert Udo Jürgens: „Aber bitte mit Sahne“, „Immer wieder geht die Sonne auf“, „Boogie Woogie Baby“. Hermann Durner liefert die passenden Melodien.
Nach der ersten Pause ist wieder die Big Band am Zug. Lautstark jagt sie Scott Stantons „Adrenaline Attack“ durch den Saal. Passend dazu blitzt es von draußen aus der dunklen Nacht grell durch die Scheiben der Härtsfeldhalle. Der aufziehende Sturm begleitet das energische Wiederauftreten der Musiker: „Misty“ von Errol Garner, „Spain“ von Chick Corea. Mark Taylors Swing- und Latin-Arrangement von Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ begeistert das Publikum. Abwechselnd gibt es nun Big Band, Arien, Chansons und Pausen.
Während Schwarz die Ermordung Carmens aus George Bizets gleichnamiger Oper besingt, peitscht der nun omnipräsente Sturm draußen Äste gegen die Hallenfenster. Die Dramaturgie nähert sich ihrem Höhepunkt. Schaumann singt die Titelmelodien aus „Tom & Jerry“, dem „Dschungelbuch“ und „König der Löwen“. Conférencier Neuhauser präsentiert mit seiner Band „All Inclusive“ soft-rockige Versionen von Liedern wie dem White-Stripes-Hit „Seven Nation Army“ oder dem Joe-Cocker-Klassiker „N’oubliez jamais“. „The Untouchables“ der Aalener Tanzschule Rühl zeigen unter dem Motto „Dance4Fans“ Choreografien aus aktuellen Musik-Video-Clips. Die Big Band verwöhnt die Besucher mit einem der schönsten Titel der Musikgeschichte („Music“ von John Miles), bevor sie gemeinsam mit Michael Schaumann zum klangvollen Finale bläst: Roger Ciceros „Frauen regier’n die Welt“.

  • Veröffentlichung:
    11.05.2009
  • Medium:
    Lokales, “Schwäbische Post”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Alle Register gezogen

Michail Tschitscherin in Aalen

Der russische Organist Michail Tschitscherin hat bei seinem Konzert in der Marienkirche in Aalen alle Register gezogen und das Publikum mit einer beeindruckenden Klangvielfalt überzeugt.

Dass Kleckern nicht seine Welt ist, zeigte Tschitscherin gleich zu Beginn. Johann Sebastian Bachs Passacaglia in c-Moll schmetterte der Orgelvirtuose den Zuhörerinnen und Zuhörern zum Auftakt förmlich entgegen. Minutenlang. Virtuos. Ohne Pause. Bachs Passacaglia gilt als die bekannteste der Barockzeit. Sie besteht aus zwei Sätzen, der eigentlichen Passacaglia und einer Fuge. Viele Passacaglien des 19. und 20. Jahrhunderts orientierten sich an diesem Werk.
Warum dies so ist, konnten die Besucher in der Marienkirche schnell selbst hören und spüren. Ja, spüren. Denn das Vibrieren der im Sonnenlicht silbern glänzenden Orgelpfeifen war über den hölzernen Fußboden im gesamten Kirchenschiff zu fühlen. Zum Fühlen gesellte sich ein besonderes Hören. Durch den Widerhall der Klänge an den massigen Betonmauern des Gebäudes war deren Ursprung räumlich kaum mehr auszumachen. Eine interessante akustische Erscheinung, die sich noch verstärken ließ, wenn man die Augen schloss.
Tschitscherin war sich der Wirkung seiner Interpretation sehr wohl bewusst. Gerne wechselte er Tempo und Lautstärke, ließ das leise Wummern am Ende von Peter Tschaikowskys Finale aus der Symphonie Nr. 6 in h-Moll lange nachklingen. Vogelgezwitscher von draußen untermalte die Szenerie, gab ihr eine paradoxe Note.
Michail Tschitscherin spielte ferner die Pastorale in h-Moll von Alexandre Guilmant samt ihren fröhlich trällernden hohen Passagen. Und er verausgabte sich wieder über viele Minuten hinweg in César Francks Choral in h-Moll. Auch Bachs musikalisches Vorbild, der dänisch-deutsche Komponist Dietrich Buxtehude, war zu hören (Präludium und Fuge in fis-Moll). Zum furiosen Finale hörten die Besucher Louis Vierne – einschließlich dem gespielten Geläut der Londoner Westminster-Glocken.

  • Veröffentlichung:
    05.05.2009
  • Medium:
    Kulturseite, “Schwäbische Post” + “Gmünder Tagespost”
  • Copyright
    by Heiko Buczinski

Auf unschuldiges Weiß gesetzt

Theater der Stadt Aalen: Proben für Georg Büchners „Woyzeck“ – Premiere am Samstag, 9. Mai

Das Theater der Stadt Aalen bringt Georg Büchners „Woyzeck“ auf die Bühne. Gemeinsam mit Dramaturgin Nina Sahm gewährt die Intendantin des Theaters der Stadt Aalen spannende Einblicke in ihre Probenarbeit – Szenenspiel inklusive.

„Der Text ist hervorragend“, erklärt Katharina Kreuzhage und nippt vorsichtig an ihrem heißen Kaffee. „Das schwierige für viele Schauspieler ist, dass in diesem Stück mal kein Scheiße und Arschloch vorkommt“, beschreibt sie die Besonderheiten von Georg Büchners „Woyzeck“. Viele seien zuvor kaum in Berührung mit Klassikern gekommen. „Das ist für manche etwas kompliziert, aber das ist eben auch Teil ihres Berufs“.
Die Abendsonne blinzelt durch die Scheiben des Wi.Z in Kreuzhages Büro. Kreuzhage selbst hat es sich neben ihrer Dramaturgin auf dem gemütlich aussehenden Sofa bequem gemacht. Noch ein Schluck Kaffee. Dann legt sie los.
„Kleine Klassiker sind selten“, sagt sie. „Da ist ‚Woyzeck’ für unser Theater natürlich ideal“. Das komplette Ensemble ist an dem Stück beteiligt. Drei Gastschauspieler ergänzen den Darstellerreigen. Besonderen Gefallen hat die Intendantin an der Zeitlosigkeit von „Woyzeck“ gefunden. „Es ist spannend und formal immer noch eine ziemliche Herausforderung“, bekennt sie. „Die Szenen sind so knapp beschildert, dass man ganz genau mit den Schauspielern arbeiten muss“, verdeutlicht sie diese Herausforderung. Nina Sahm nickt zustimmend, richtet den Blick auf Kreuzhage. Diese fasst sich kurz an die Brille und fährt fort. Ihre Inszenierung sei „keine zwanghafte Modernisierung des Stückes“. Bewusst habe sie auf Hartz IV-Empfänger und Bundeswehruniformen verzichtet. „Wir spielen das Stück auf moderne Art und Weise, aber in historischen Kostümen“.
Die stammen zum Teil auch aus dem Fundus des Stuttgarter Staatstheaters. „Das machen wir vor allem zur Entlastung unserer Schneiderin so. Die arbeitet schließlich nur halbtags“, erklärt Kreuzhage. Weiter zum Stück meint sie: „Wichtig ist, dass die Zuschauer das Verbrechen verstehen können“. Soldat Woyzeck ermordet im Zorn seine Geliebte Marie, nachdem er erfährt, dass diese eine Affäre mit dem Tambourmajor hat.
Vor der Bürotür wird es laut. Die Schauspieler kommen zur Probe, linsen verschmitzt durch die halbhohe Glasfront ins Büro ihrer Chefin. Geprobt wird insgesamt siebeneinhalb Wochen, „jeweils acht bis zehn Stunden an fünfeinhalb Tagen pro Woche“, informiert die Intendantin. „Das ist in Deutschland schon fast eine luxuriös lange Probenzeit“, verdeutlicht sie. Damit gebe es noch Spielraum das Stück im Entstehen zu verändern, verschiedene Ideen auszuprobieren.
„Dabei wird die Vorführung insgesamt vermutlich sehr kurz sein“, warnt Kreuzhage schon einmal vor. „Wir rechnen im Moment mit etwa einer Stunde und zehn Minuten Spielzeit“. Die Schauspieler sind in der Zwischenzeit nach oben zur Probenbühne verschwunden. Gemeinsam mit Nina Sahm geht es hinterher.
Oben angekommen herrscht buntes Treiben. Die Schauspieler Alexander Wilß (Woyzeck), Kirsten Potthoff (Marie) und Tobias Fend (Tambourmajor) bereiten sich gemeinsam mit Regie-Assistent Jakob Strack und Hospitantin Sarah Herrmann auf die Probe vor, schlüpfen in ihre Kostüme.
Alles andere als bunt ist die Kulisse. Für „Woyzeck“ setzen Kreuzhage und ihre Bühnenbildnerin Ariane Scherpf auf unschuldiges Weiß. „Es ist noch nicht ganz fertig“, erklärt Sahm. Sie deutet auf ein großes Loch im hinteren Bereich der Bühne.
Erstmals werde das Ensemble in einer auch nach unten geöffneten Kulisse arbeiten. „Wir haben im Moment ein Netz darin gespannt, damit nichts passiert“, so Sahm weiter.
Die erste Probenszene steht an. Der Tambourmajor in seiner blauen Uniform tritt auf, singt. Marie kommt hinzu. Kurzes Gespräch, dann schmusen die beiden. Potthoff versucht das weiße Tuch in ihren Händen auszubreiten und sich gemeinsam mit Wilß darunter zu „verstecken“. Dies klappt nicht, wie geplant. Die beiden verheddern sich.
Kreuzhage lacht und meint entschuldigend: „Ja, das ist noch unser kleines technisches Problem“. Ihre Schauspieler lobt sie: „Das war gut“. Potthoff ist mit ihrer Marie noch nicht ganz zufrieden: „Ich finde sie wirkt ein bisschen älter“. „Sie soll auch fraulich wirken“, beruhigt sie Kreuzhage. „Wie alt bist du denn eigentlich?“, will sie von ihrer Schauspielerin wissen. „26“, lautet die Antwort. „Ja, dann wärst du in der damaligen Zeit ja schon im heiratsfähigen Alter“, meint Kreuzhage schmunzelnd.
„Gehen wir doch gleich mal in die nächste Szene“, dirigiert sie weiter und führt ein: „Woyzeck bekommt gesteckt, dass er nicht der einzige ist, der in Maries Bett steigt. Das hat Folgen…“.
Kreuzhage begibt sich auf die Bühne, fordert etwas mehr Emotion von ihrem Woyzeck und noch mehr Coolness von Marie. „Und zum Kuss: Das ist wie bei Kitschgeschichten. Er raubt ihr den Kuss“, erklärt die Intendantin. „Es geht wirklich um Besitz“. Entschlossen begibt sie sich zurück auf die Zuschauerränge: „Das machen wir gleich noch mal“.

  • Veröffentlichung:
    30.04.2009
  • Medium:
    Magazin “FreiZeit” (Beilage der Tageszeitungen “Schwäbische Post” + “Gmünder Tagespost”)
  • Copyright
    by Heiko Buczinski