Psychokeramisches Syndrom

Dauerstrohwitwer Martin Leibssle im neuen Vereinsheim der „Haugga Narra“

„Wenn das ein normaler Samstagabend wäre, wär ich heut im Schwanen“, macht Leibssle gleich zu Beginn klar. Die Essinger „Haugga Narra“ dürfen sich also geehrt fühlen. Mit „Leibssle würfelt – Gott würfelt nicht“ eröffnet Eckhard Grauer nicht minder närrisch die neue Heimat der Karnevalisten.

Joachim Fritz am Klavier, Alex Hess am Bass und Eckhard Grauer alias „Leibssle“ liefertem dem Publikum keinen normalen Samstagabend.

Joachim Fritz am Klavier, Alex Hess am Bass und Eckhard Grauer alias „Leibssle“ liefertem dem Publikum keinen normalen Samstagabend.

Kennen Sie das psychokeramische Syndrom? Nein? Doch, sicher: Leibssle meint damit nichts anderes als den berühmten Sprung in der Schüssel. Ob er den nun selbst hat oder doch eher einer seiner vielen Stammtischbrüder oder Verwandten, bleibt dahingestellt. Sicher ist: Leibssle ist Kult. Und als Kabarettist mit solchem Status weiß er damit umzugehen.
Spontan und schlagfertig zeigt er sich in Essingen, schießt sich aufs Publikum ein, singt und frotzelt in gewohnt gekonnter Manier. Dabei nimmt er durchaus auch gesellschaftskritische Züge an. Ob beim Häkeln für den Frieden vor dem Berliner Reichstag („Damit die Politiker die letzten heißen Eisen noch anfassen können“) oder der rein objektiven Betrachtung der „Sportart“ Nordic Walking – für Leibssle nicht viel mehr als „Betreutes Gehen“. Zum Glück mit zwei Stöcken statt nur mit einem, „sonst würde man dauernd im Kreis laufen“.
Leibssle ist dabei kein engstirniger Lokalpatriot – auch wenn natürlich eine gehörige Portion deftig Schwäbisches mitschwingt. Leibssle versteht es immer zum rechten Zeitpunkt einen dezenten Blick über den Maultaschensuppentellerrand zu werfen, sich auf die große weite Welt einzulassen. Meist tut er dies singend (gemeinsam mit Joachim Fritz am Piano und Alex Hess am Bass). Wenn ihn seine Frau Liesbeth mal wieder zum Einkaufen schickt beispielsweise. Dann wird schon mal der Blues ausgepackt, denn was ein wahrer Leibssle ist, der schreibt sich seine Einkäufe nicht auf, nein, der singt sie sich vor: „An Lidder Milch, an Käs dazu, a Pfond Budder…“ und so weiter.
Auch die Literatur hat es ihm angetan – gerne im Original. Da Leibssle aber kein Englisch kann, bleibt ihm bei Shakespeare nichts anderes übrig als zwischen den Zeilen zu lesen. Klassiker wie „Lassiter“ sind da schon eher seine Kragenweite. „Sie kennen Lassiter nicht?“, fragt er ins Publikum. Fingerfertig zückt er ein kleines Western-Heftchen, präsentiert stolz sein Lieblingswerk. Bis ins Detail beschreibt er anschließend die Geschichte des Cowboys, der mit der letzten Kugel aus seinem Colt gleich vier Halsschlagadern gleichzeitig traf.
Gewieft zieht Leibssle Parallelen zur heutigen Zeit. Als Würfelbetrüger versucht er sich beim „Mensch ärgere dich nicht“, singt das Lied vom Würfelspieler. An die Frauenwelt gerichtet, gibt’s noch ein kleines Männergeheimnis mit auf den Weg: „Männer tun nur so, als gebe es das Kind im Manne, damit die Frauen ihren Mutterinstinkt ausleben können“.
Grandios auch Leibssles Abhandlung auf die Servicequalität heutiger Haarsalons. Minutenlang zeichnet er hier die Charakterzüge seines Stammfrisörs nach, umschreibt lustvoll dessen Wandel im Verlauf der Jahrzehnte, hin zum Servicedienstleister. Leibssles süffisantes Fazit sorgt für große Lacher: „Der schneidet kein Haar anders als vor zwanzig Jahren – aber mit Beratung“.

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    23.06.2009
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Mantel gewinnt sein Heimspiel

Ganz allein daheim: Ernst Mantel wandelt in der Abtsgmünder Zehntscheuer gekonnt auf Solopfaden

Wer kennt dieses Gefühl nicht? Die Woche ist vorüber, die Arbeit war mal wieder stressig und auf großes Weggehen hat man keine Lust mehr. Lieber ein gemütlicher Fußball-Fernsehabend auf dem heimischen Sofa. Gerne mit ein paar Freunden. Das muss sich auch Ernst Mantel gedacht haben. Gut, er hat einen etwas größeren Freundeskreis. Und sein Sofa ist die Bühne in der Abtsgmünder Zehntscheuer. „Ernst Unernst“ –Spielbericht zu einem Heimspiel.

Ernst Mantel zeigt an, wo’s lang geht.

Ernst Mantel zeigt an, wo’s lang geht.

Anpfiff. Mit nur wenigen Minuten Verspätung beginnt das Spiel. Ernst Mantel, von Mitspielern gerne auch „schwäbischer Philosoph“ oder „Gewinner des baden-württembergischen Kleinkunstpreises 2009“ genannt, bläst zum ersten Angriff. „Dr Anfang“ heißt diese Spielvariante, in der auch Schluss und Qualität nicht zu kurz kommen. „Der Schluss ist das Ende von so vielem auf der Welt“, sinniert der Abtsgmünder Ernst Mantel. Dabei gehe es häufig doch nur darum, Eindruck zu schinden, „notfalls auch mit Tricks“, erklärt er und stimmt – mittels perfekter Technik – alleine einen mehrstimmigen Fangesang an.
Die Fans strömten heute in Massen in die Abtsgmünder Kleinkunstarena. Alle wollen ihr Idol sehen. Auch Ehrengäste, wie Ministerpräsident Oettinger (Mantel wunderbar nasal: „Qualität ist für mich nicht nur ein Schlagwort, sondern auch ein Stichwort und ein Fremdwort“). Star des Abends bleibt aber der vielseitig einsetzbare Spielmacher Mantel selbst. Mal über links, mal über rechts, meist ab durch die Mitte. Auch kurz vor der Halbzeit geht ihm noch nicht die Puste aus. Seine Finesse erklärt er sich selbst mit Weisheiten, wie sie nicht viele Spieler „bei aller Nüchternheit“ nach dem fünften Weizenbier noch wohl akzentuiert in die Kamera gesprochen hätten: „Vom Bauch her bin ich eben eher ein Kopfmensch“. Und da Fußballer gerne wild leben und schnelle Wagen fahren, leben sie auch gefährlich im „Rausch der Geschwindigkeit“, vor allem „nachts auf der Autobahn“. Geblitzt, gestoppt, „Babbadeggl weg“. Den braucht der geübte Spieler auf dem Platz zum Glück nicht. Und auch Anglizismen sind hier überflüssig. Deshalb will der Manager auch, dass seine Kids Cedric und Kimberly besser „gecoacht“ und Deutsch wieder mehr „supported“ wird. „Never win a changing dream“ – oder so ähnlich.
Die zweite Halbzeit beginnt, das Spiel bleibt erstklassig. Dafür sorgen schon die Liedermacher auf den Rängen. Die Singer-Songwriter, so wie Reinhard Mey. „Höret nun ein Stück aus dem Zyklus ‘Lieder direkt vom Erzeuger’“, trällert Mantel munter vom Rasen. Das gefällt auch dem Migranten-Fanblock. Nur der Ulmer Bülent hat den Wiederanpfiff verpasst. „Wo bleibt der bloß?“.
Zum Glück steht es nach 90 Minuten noch unentschieden. So bleibt noch genügend Zeit, denn das Spiel geht unter den Anfeuerungsrufen der heimischen Fans in die Verlängerung. Zwei mal 15 Minuten. Dann ist Schluss. Mantel hat gewonnen, dreht eine Ehrenrunde in der Fankurve. „Und die Moral von der Geschicht’? Das Ergebnis liegt mal wieder im Resultat“. Heimspiele unterliegen eben eigenen Gesetzen. Und Ernst spielt unernst in der Champions League.

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    12.06.2009
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Käse an Schokoladensauce

Sibylle Friz und Birgit Förstner würzen den „Fachsenfelder Frühling“

„Je mehr Käse, desto mehr Löcher“, führt Sibylle Friz in die Käsekultur ein. „Je mehr Löcher, desto weniger Käse. Daraus ergibt sich: je mehr Käse, desto weniger Käse“. Ein Paradoxon, das Friz und ihre Kollegin Birgit Förstner nur zu gerne auf die hohe Kunst der Musik – vom frühen Barock bis ins Jahr 2000 – ableiten. „Alles Fromage!“ heißt es in ihrem komödiantischen Gastspiel auf Schloss Fachsenfeld. Musik und Poesie entlang des Käsezeitstrahls.

Sie sind Schauspieler und Musiker, haben einen Hang zum Komödiantischen. Wenn Sibylle Friz und Birgit Förstner Käse erzählen, muss man schon genau hinhören, um wirklichen Käse von ernster Kunst zu unterscheiden. Mitten im venezianischen Frühbarock startet ihre Reise, ihre Erzählung. In einem Palazzo wie dem Schloss Fachsenfeld. Oder war’s ein Castello? Mit Dario Castello, seines Zeichens italienischer Komponist und Generalmusikdirektor von San Marco, nimmt zumindest die Musik des damaligen Venedigs in Fachsenfeld Einzug. Ein Cello-Duett – inklusive intensiver barocker Haltung gespielt. Auch die italienische Oper darf natürlich nicht fehlen. Süffisant kredenzen Friz und Förstner Auszüge aus Benedetto Marcellos Satire über das neumodische Theater („Il teatro alla moda“), eine kritische Darstellung über Berufe am Theater. Dazu gehören auch die Primadonnen. Wie die beiden. Und was tun Primadonnen? Sie singen: „Huuuuurz“. Hape Kerkeling und italienische Oper? Da ist er wieder, der Käse. Eigentlich sind sich Primadonnen auch zu schade, stupid Blockflöten zu blasen. Soll Förstner trotzdem? Na gut. Ausnahmsweise. „Blockflötenkäse“, entfährt es ihr. Ein wild trällerndes Blockflötenduett folgt, Vogelgezwitscher ähnlich.
Dass Italiener nicht nur gute Musik machen, sondern auch für andere Qualitäten bekannt sind, soll nicht unerwähnt bleiben. „Ja, die Italiener verstehen was vom Küssen“, träumt Friz vor sich hin. Ein bisschen Paul Fleming zur Untermalung darf’s da schon mal sein: „Küsse nun ein jedermann, wie er weiß, will, soll und kann“. Auf ein Largo aus Antonio Vivaldis Cellosonate in a-Moll folgen weiter muntere Käsegeschichten. Von den Römern, den Neapolitanern. Auch Giacomo Casanovas „unvergleichliche Sinnlichkeit“ bekommt eine Bühne. „Hätten Sie gewusst, dass Casanova ein Käse-Lexikon schreiben wollte?“. Die Betonung liegt auf „wollte“, denn gemacht hat er es letztlich nie. Auf Italien folgt Frankreich. Auf Käse auch ein bisschen Schokolade. „Mit Schirm, Scharm und Schokolade“, nennen das die Künstlerinnen. Dazu passt Rachel Portmans Titelmelodie aus „Chocolat“ vortrefflich. Der Käse bleibt jedoch im Gedächtnis („Vive le fromage!“) und die Geschichten humorig. Sei es nun die Legende um die Entstehung des Roqueforts oder „Sous le ciel de Paris“. „Unter dem Himmel von Paris, da schmelzen die Herzen wie… Schmelzkäse!“.
Dahinschmelzen konnten die Besucher auch beim schauspielerischen und musikalischen Finale von Friz und Förstner: Flügel (mal zwei-, mal vierhändig), Celli, sogar ein Ton-Kuckuck, der beim Hineinblasen eben jenes von sich gibt. Kein Wunder. Auch kein Käse. Sondern Camille Saint- Saëns „Le carnaval des animaux“, der berühmte „Karneval der Tiere“.

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    20.05.2009
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Flott unterwegs mit der Zunge

„Hämmerle“ in Abtsgmünd

Er kennt seine Pappenheimer. Und er zerpflückt sie – systematisch. Bernd Kohlhepp ist Hämmerle. Ein anstrengender Nachbar. Ein schrulliger Schwabe. Ein begnadeter Sänger. Elvis Presley hat es ihm angetan. Mit schwäbischen Texten neu angerichtet, trällert Hämmerle die Melodien des King. Ein Erlebnis, das vor allem die Besucher in den ersten drei Reihen der Abtsgmünder Zehntscheuer so schnell nicht vergessen werden.

Bernd Kohlhepp ist das „Hämmerle“.

Bernd Kohlhepp ist das „Hämmerle“.

Kultkomiker Bernd Kohlhepp kennt keine Tabus. Schon gar nicht, wenn es um das Privatleben seiner Zuschauer geht. Immer tiefer gräbt er als Parade-Schwabe „Hämmerle“ in den Biografien der Besucher in den vorderen Reihen, entlockt ihnen unverblümt so manches Geheimnis. Bissig, ja scharfzüngig geht er mit ihnen ins Gericht. Brigitte, Traudel, Renate, Ursula, Markus, Guido – alle müssen dran glauben. „Wer setzt sich bei so einem Konzert auch freiwillig in die erste Reihe?“, fragt er hinterlistig. Selbst Abtsgmünds Bürgermeister Georg Ruf entkommt den Hämmerle’schen Angriffssalven nur bedingt. Vorzeitiges Verlassen des Saals wird von diesem nämlich mit einer geballten Ladung Sarkasmus geahndet. „Er hat gesagt, er würde zwischendrin ab und zu Sport machen; vielleicht hat er seine Bestimmung jetzt gefunden“, lästert Hämmerle dem entfleuchten Schultes hinterher.
Doch der schwäbische Rock’n’Roller kann auch anders. Singen nämlich. Am liebsten Elvis. „Der Bempflinger König trifft den King aus Memphis“, beschreibt er seine schwäbischen Adaptionen bekannter Elvis-Titel. So wird aus „Love me tender“ ein einfaches „Seifenspender“ und „Are you lonesome tonight“ mutiert zu „Ich bin langsam zurzeit“ – einer Hommage an den Ampelblitzer, dem er seinen Führerscheinentzug verdankt. Natürlich verkörpert der Gesichtsakrobat Kohlhepp auch wieder die rüstige Rentnerin Frau Schwertfeger. Wie selbstverständlich legt er sich auch in Abtsgmünd wieder mit seinem Dauerrivalen Hambacher an.
Und ganz nebenbei löst er noch eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte. Hämmerle weiß ganz genau, warum Frauen immer zu zweit aufs Klo gehen. Es liegt an der Lichtschranke für Wasserhähne. „Die ist oft einfach zu weit weg vom Waschbecken. Da braucht’s zwei zu“.

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    03.04.2009
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Reich an eingebildeter Armut

Ulrich Kienzle und „Die Frotzler“ erkunden in Abtsgmünd handfest die schwäbische Seele

„Spuck’s aus – aber älles!“, nimmt der Schwabe die Fliege ins Gebet, die er soeben aus seinem Bierglas fischte. „Ja, Schwabe zu sein ist ein schweres Schicksal“. TV-Legende Ulrich Kienzle kennt seine Pappenheimer. In der Kochertalmetropole Abtsgmünd analysiert er ihre Historie. Eine humoreske Satire zum Thema „Wie die Schwaben wurden, was sie sind“.

„Warum schmeißen sich Schwaben bei Gewitter auf den Boden?“, fragt Kienzle in die Runde. „Weil der Blitz noch nie in ein Arschloch eingeschlagen hat“. Ein Beispiel für die feine, selbstverständliche Ironie, mit der sich viele Schwaben schmückten. Unfreiwillige Komik inbegriffen. Wer kennt sie nicht, die Radioreklame eines schwäbischen Müsli-Herstellers aus dem Odenwald? Fast schon verzweifelt wirkt der Versuch des Naturkost-Fabrikanten, seine Produkte in wohl akzentuiertem Hochschwäbisch an den Kunden zu bringen. „Unterhaltung ist es auf jeden Fall“, so Kienzle süffisant. „Man kann sich auf Schwäbisch eben viel präziser ausdrücken“.
Und das mit dem „Arschloch“ sähen die Schwaben auch nicht so eng; es sei für sie keine Beleidigung, sondern vielmehr ein Schlüsselwort. Ob als liebenswerte Begrüßung („Na, wo kommsch denn du alds Arschloch no au her?“) oder als Bereicherung für den Wortschatz ihrer Politikschaffenden. Gerne erinnert Kienzle an den analen und fäkalen Charakter des schwäbischen Witzes.
Passend dazu musiziert das Trio „Die Frotzler“ – allesamt Mitglieder des deutschlandweit erfolgreichen, schwäbischen Musik-Comedy-Ensembles „Tango Five“ – an Flügel, Violine und Kontrabass „Leck mich am Arsch“. Kennzeichnend für die Schwaben sei „das Misstrauen gegen sich selbst“, stellt Kienzle fest, und reflektiert bissig den schwäbischen Minderwertigkeitskomplex. „Haben Sie sich wieder erkannt?“, fragt er das Publikum. Sinnige Provokation wie zu besten „Frontal“-Zeiten. In einem wahren Schwall von Geschichten und Witzen, Liedern und Thesen ergründet Kienzle das Wesen der Schwaben, verfolgt ihre Geschichte, kämpft gegen Vorurteile. „Gott ist Schwabe“, heißt es denn auch. Und dass die Mär der „Sieben Schwaben“ aus Bayern kommt, muss auch einmal betont werden: „Der Schwabe ein Angsthase – das ist eine perfide weiß-blaue Erfindung“.
Natürlich spart auch Kienzle nicht mit Klischees, berichtet vom Viertelesschlotzer („Trollinger ist Politik pur“), packt seinen Bruddler wieder aus. Von den Pietisten („die schwäbischen Taliban“) kommt er zum Denunziantentum. „Schlamperei wird bestraft“. Vielleicht liegt ja hier die Ursache für stets gehegte „Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Fleiß bis zum Umfallen“. Sicher ist: „Davon haben wir uns bis heute nicht ganz erholt“. Dem Schwaben gehe die Arbeit nie aus. „Schaffa ond spara isch Lebensinhalt“. Schwäbische Lebensart sei „die eingebildete Armut“. Kienzle: „Was macht ein Schwabe mit einer brennenden Kerze vor dem Spiegel? – Er feiert zweiten Advent“.
Vom Musterländle im Musterländle (Oberschwaben) geht’s nach Berlin („Wir sind überall“), in „die schwäbische Subkultur“. Schließlich seien die Schwaben die größte ethnische Minderheit in der Hauptstadt, „leben in einer Parallelgesellschaft“. Am Beispiel Stuttgart lässt sich die seelische Weiterentwicklung der Schwaben deuten: Genießen rücke in den Fokus. Der Schwabe ein Hedonist? Soweit will Kienzle nicht gehen. „Der Schwabe ist und bleibt dann doch ein bissle ein Arschloch, wenn auch auf höherem Genussniveau.“

  • Veröffentlichung:
    30.01.2009
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Pointierte Dialekt-Lektion in Jacques’ Bistro

Detlev Schönauer hat in der Zehntscheuer Abtsgmünd sein Publikum „übergerascht“

Jacques ist Franzose. Seit einigen Jahren lebt er allerdings bereits in Deutschland. Genauer: im Saarland. Dort betreibt er ein kleines Bistro, von dessen Tresen aus er mit Vorliebe seine Gäste beobachtet. Was Jacques dabei erlebt, erzählt der Mainzer Kabarettist Detlev Schönauer in seinem Programm. „Übergerascht“ heißt es. Eine charmante Persiflage auf Deutschlands Dialekte und die, die sie sprechen in der Abtsgmünder Zehntscheuer.

Detlev Schönauer erzählt als „Jacques“, der Wirt, aus dem Leben seiner Gäste.

Detlev Schönauer erzählt als „Jacques“, der Wirt, aus dem Leben seiner Gäste.

„Solange wir Deutschen Müll trennen und Frösche über die Straße tragen, kann es uns noch gar nicht so schlecht gehen“, meint er. Im Bistro bei Jacques ist es wie im normalen Leben. Hier treffen sie aufeinander, die Befindlichkeiten des kleinen Mannes mit den Problemen, die die Welt bewegen. Doch wer ist das schon, die Welt? „Kennen Sie das vereinfachte Saarländer Weltbild? Nein?“. Das sieht so aus: Östlich des Saarlands sind alles Pfälzer, westlich alles Franzosen. Und mit beiden Fraktionen haben die Saarländer ihre Konflikte.
Dabei hätten sie doch genügend Probleme im eigenen Land. Die Bildung zum Beispiel. Als deutschlandweiter Pisa-Letzter hat man es oft nicht leicht. „Das ist wie bei Textaufgaben in Mathe – am Ende wird immer gefragt ‚Wie alt ist die Oma?'“. Oder die niedrige Geburtenrate. „Auf vier Mütter kommen bei uns nur drei Kinder“. Vielleicht stehen die Saarländer deswegen auch so gerne an der Theke, spülen ihre Probleme runter. Jacques kann das nur recht sein. Sein Bündel an Geschichten wird damit jeden Tag aufs Neue etwas breiter geschnürt. Auf Schwierigkeiten stößt er dabei immer wieder. Meistens sind die sprachlicher Natur. „In Deutschland kann keiner Deutsch“, beschwert sich Schönauers Kunstfigur treffend nasal. Nun gut, Dialekte hätten ja auch was. „Da steckt viel mehr Gefühl drin als in Hochdeutsch“. In der Erotik wirkten viele Dialekte allerdings eher abtörnend. „Wissen Sie, was mich übergerascht hat?“, fragt Jacques, nicht wirklich akzentfrei. Das Männermagazin „Playboy“ habe in einer Umfrage Bayerisch als den erotischsten Dialekt Deutschlands ausgemacht. Wobei das natürlich immer noch besser klinge, als wenn ein Sachse oder gar ein Pfälzer (!) im Liebestaumel den Urlauten ihres Dialektes nachgäben. Langsam redet sich der Franzosen-Verschnitt in Rage, kritisiert die Politik, banalisiert sie gekonnt im Zuge ihrer eigenen Problemlösungsansätze. Genüsslich widmet er sich Gesetzen und Gesetzgebungsversuchen. Nichtraucher- und Klimaschutz zum Beispiel, oder dem Ladenschluss: „Warum soll man Sonntagmorgen sein Geschäft auflassen? Das bringt ja nichts – sieht man schon an der Kirche“.
Mit einer Leidenschaft, die seine Augen zum Leuchten bringt, versetzt sich Schönauer in die von ihm gespielten Charaktere, verleiht ihnen geistreich Leben. So zerlegt er als Marcel Reich-Ranicki hochliterarisch Kinderlieder: „Ringel, ringel, Rosen – ja was heißt denn das?“. Oder er sitzt am Piano und singt als Konstantin Wecker vom „Häschen in der Grube“. Warum Männer und Frauen nicht zusammenpassen, erläutert Schönauer gerne – und gibt letztlich doch freimütig frische Tipps aus dem Casanova-Workshop der Flirtschule in St. Gallen. „Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch einmal herein kommen?“
Inbrünstig besingt Schönauer die Anrufbeantworter seiner Freunde, ob im Marlene-Dietrich-Stil, als Mozart-Duett oder für Luigi passend italienisch. Nahezu gesellschaftskritisch vergleicht er singend die Kindheit früher und heute, veräppelt die Probleme, die Schwierigkeiten, die Wehleidigkeiten der neuen Generation: „Wie haben wir das nur geschafft?“. Das letzte Wort des Abends gebührt noch einmal Jacques. Wie ein richtiger Saarländer verabschiedet der sich: „Alla, gut Nacht!“.

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    07.10.2008
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Kinder haben und Papa sein

„FaberhaftGuth“ beim Aktionszyklus zum zehnjährigen Bestehen der Zehntscheuer in Abtsgmünd

„Sag mal, hast du den eingeschlossen?“Gemeint ist der Sohn. Vorwurfsvoll schaut Martin Guth seinem Kollegen Dietrich Faber in die Augen. In ihrem Programm „Papanoia“ widmen sich die beiden Kabarettisten szenisch anschaulich einer sich rasant verändernden Spezies – der Familie. Die Abtsgmünder Zehntscheuer als gut bestücktes Minenfeld des gemeinschaftlichen Zusammenlebens.

„FaberhaftGuth“ - die beiden Kabarettisten sorgten mit ihrem Programm rund um die sich rasant verändernde Welt der Familien für beste Unterhaltung in der Zehntscheuer.

„FaberhaftGuth“ - die beiden Kabarettisten sorgten mit ihrem Programm rund um die sich rasant verändernde Welt der Familien für beste Unterhaltung in der Zehntscheuer.

„Ich schließe doch meinen Sohn nicht ein, ich hab nur die Tür zugemacht“, weist Faber jede Kritik von sich. Im Showgeschäft hat Mann es nicht leicht. Was tun mit dem Sohn, wenn die geneigte Gattin sich mit den Worten „Ich muss dringend weg“ zur Mondscheinsitztherapie im See verabschiedet? So ein Fünfjähriger, der will unterhalten werden. Nur gut, wenn der Papa das passende Entspannungsmittel kennt: „Er hört jetzt seine Rammstein-CD. Das beruhigt ihn“. Zur Not kriegt der Kleine noch ein paar Tabletten. Mann ist ja nicht blöde.
Besagter Sprössling – sein Name ist übrigens Hilmar – ist der rote Faden von „Papanoia“. Im Wechsel „kümmern“ sich Faber und Guth um den fiktiven Nachwuchs in der Garderobe, bieten sich so gegenseitig Freiräume für Solo-Einlagen. Präsentiert werden dann so kongeniale Geschichten wie der erste gemeinsame Elternabend, geleitet von „Educating Consulting“. Als Berater befürwortet Martin Guth da den Ganztageskindergarten. Das meint er allerdings wörtlicher, als das manchen Eltern lieb sein dürfte: von spätestens 5.30 Uhr morgens bis mindestens 22.40 Uhr am Abend. „Wir sind die bessere Familie“, so der Leitspruch des Beraters.
Mit beängstigend stoischer Ruhe nähern sich FaberhaftGuth dem Vorschulalter der Kinder. Faber erzählt mit hallender Stimme, spielt dazu sein Piano. Es geht um ein kleines Mädchen, das mit seinem Papa spazieren geht und dem Löcher in den Bauch fragt. Ihr nerviger Wissensdurst, ihr kindlicher Übermut, ihr Unverständnis – all das packen die Beiden gekonnt in ein Lied: „Und ich bleib still“.
Aus dem Koffer zaubern Faber und Guth ein gesellschaftskritisches Kasperle-Theater. Gewerkschaften, Frauenbeauftragte („Liebe Frauen und Frauinnen“), Fremdenhass, die Politik, sogar Lady Di müssen als Vorbilder herhalten. Neumodische Doppelnamen (Justin-Jürgen oder Kevin-Karlheinz) und technische Neuerungen (Magen-Darm-Spiegelungen via Handy) werden verballhornt. „Seht mich nur an, ich leide so sehr“, besingt Faber in Paul Potts-Manier und mit grimassenverzerrtem Gesicht den Niedergang des IKEA-Konsums, kickt entschlossen ein imaginäres Köttbullar-Bällchen durch die Luft. Im Stile ihrer Landsmänner von „Badesalz“ zelebrieren die Komiker den sonntäglichen Fußballplatzbesuch. Verschiedenes Klientel trifft da regelmäßig aufeinander: der Cheerleader-Papa, die Stammtischbrüder, die Kuchen backenden Mütter, der immer besoffener werdende Sportreporter. Auf die wilde Gag-Sinfonie folgt „Ein Hit nach dem anderen“, eine gesungene Hommage an die musikalischen Größen der 70er, 80er und 90er Jahre. Ekstatisch reihen Faber und Guth einen Titel an den nächsten, singen von jedem nur drei, vier Wörter. Dann spielen sie sich selbst und den Beginn ihres Programms im Kasperle-Theater nach – die Besorgnis um Hilmar, die Wortspielereien. „Sag mal, hast du den eingeschlossen?“. Kinder haben und Papa sein ist nicht einfach.

  • Veröffentlichung:
    02.10.2008
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Immer mit Vollgas

Andreas Rebers ist „ziemlich dicht“ am Ball

„Draufkloppen auf alles, was sich bewegt. Und dann mal kucken, was übrig bleibt“, so beschreibt Andreas Rebers sein Programm. „Ziemlich dicht“ heißt es. Ziemlich voll war es beim „Stiftsbund“-Abend in Ellwangen. Rebers punktete mit intelligenter Ironie und einer prickelnden Prise Realsatire.

Andreas Rebers.

Treffsicher im Stiftsbund in Ellwangen: Andreas Rebers.

Er ist der Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreises 2007, Kategorie Kabarett. Ein Spezialist für gnadenlose Komik. Andreas Rebers ist Autor, Komponist, Musiker, Kabarettist – ein Tausendsassa. Entsprechend weit das Feld, das er beackert. „Toll, dass ich da bin“, beginnt er, ein Akkordeon um die Schulter. Nichts ist vor ihm sicher, keiner schnell genug versteckt. „Soziale Anerkennung ist wichtig für mich“, rechtfertigt er die Anmache.
Dann legt er los. Immer mit Vollgas, immer unter Strom wettert er gegen alles, das ihn stört. Feindbilder hat er dabei schnell ausgemacht. Nummer 1: die Beamten. „Ist das eigentlich hier schon Hessen?“. Nummer 2: die Frauen. Die Potenzierung des Ganzen ergibt Nummer 3: verbeamtete Frauen. Wen er damit genau meint, zeigt er schnell ganz unverblümt: Lehrerinnen. Die „feminisierte Heulsusenpädagogik“ sei das eigentliche Problem in Deutschland, die Hauptschule „das Juwel der deutschen Bildung“. Ironie!
Selbstverständlich. Die hat es ihm schließlich besonders angetan. Er trete gerne im Stau auf, sagt er. „Am liebsten auf dem Irschenberg“. Dort könne er die Leute abholen, wo sie sind – und sie könnten nicht weg. Ständig fordert er sein Publikum heraus, bindet es aktiv ein in seine Reise durch Klischees und Vorurteile, verarbeitet alles von Politik bis Volksmusik. Auch Menschen mit Migrationshintergrund werden thematisiert. Menschen wie Adolf Hitler. Oder die unter der Riesenrutsche grillenden Türken, die zuvor die Hallenbaddusche zum Schlachten ihres Grillzeugs zweckentfremdet haben. Rebers verpackt seine Gesellschaftskritik in ein buntes Tuch aus tief, teilweise fast zu tief gehender Komik, aus Witz und Tollerei.
Zungen- und tastenakrobatisch widmet er sich am Flügel einem verliebten, lispelnden Paar: „In der Liebe, Liebe, Lieeeebe – da weiß die Zunge wo sie hingehört…“. Zwischendurch analysiert er das bis dato Vollbrachte selbstkritisch, zerpflückt seine Show in ihre Einzelteile. „Idealisten sind die, die wenig können und viel wollen“. Das sitzt. „Normal mit mir ist schwer“, gesteht er – und präsentiert sich sogleich mit einem T-Shirt, auf dessen Brust das Konterfei von Osama bin Laden prangt. Aufschrift darunter: „Cat Stevens“. „Im Laufe des Lebens nimmt die Vergangenheit quantitativ zu“, hat der Kabarettist erkannt. Da ist der Schritt zum finalen Gag konsequent. Den Tod sieht Rebers als ultimative Pointe. „Schade nur, dass man selbst nicht mehr darüber lachen kann“.

  • Veröffentlichung:
    30.09.2008
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